Eine unvollständige Chronik der rassistischen Pogrome, sowie deren Hintergründe, gegen afghanische Einbürger*Innen in der Islamischen Republik Iran

2ndAug. × ’20

Am 25. Juni 2012 wurde in der iranischen Stadt Yazd in der gleichnamigen Provinz ein Mädchen vergewaltigt und Tod aufgefunden. Bevor die zuständigen Behörden den oder die Täter ermittelten, wurden von regierungsnahen Medien in Yazd bewusst mittels Falschaussagen zwei Afghaner zu Tätern erklärt. Nach Zeugenberichten nutzten vor Ort befindliche Milizenbanden die Situation, um dort eine moralische Legitimation für einen Familienschutz unter Einwohner*Innen zu schaffen. Bekannte Schlägertrupps, die regelmäßig auf Motorrädern Jagd auf Menschen machen, überfielen gemeinsam mit beeinflussten Einwohner*Innen die mehrheitlich von Afghaner*Innen bewohnten Wohnviertel. Sie wurden mit Knüppeln verprügelt, die Angreifer*Innen gossen Benzin über ihre Häuser und zündeten sie an. Dabei wurden mehrere Menschen Opfer der Flammen. Einige Afghaner*Innen haben sich auf den Dächern ihrer Häuser versteckt und verteidigten sich von dort aus. Viele sind aus Angst vor Übergriffen in die Wüste geflüchtet oder tauchten bei Verwandten unter. Den Verletzten war es nicht möglich, sich in Krankenhäusern behandeln zu lassen.

Am 26. Juni, einen Tag nach den Pogromen, schossen iranische Grenzsoldaten in der Region Salmas (an der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei) gezielt auf eine Gruppe afghanischer Menschen, die in die Türkei fliehen wollten. Dabei kamen 18 von ihnen ums Leben, weitere fünf Personen wurden schwer verletzt. Und wieder hetzten die Medien – Grund für die Schüsse seien angeblich Mitglieder von Drogenbanden gewesen, welche versucht haben sollen zu fliehen.

Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass die iranische Regierung auf die rassistische Mobilmachung in der Gesellschaft als eines der Instrumente ihrer Politik zurückgreift und afghanische Mitbürger*Innen zu Feinbildern erklärt. Diese rassistische Kriegserklärung hat eine lange Vorgeschichte.

Anfang der 80´er Jahre propagierte das Regime der Islamischen Republik Iran die Parole „Der Islam hat keine Grenzen“. Viele Afghaner*Innen fanden dieses attraktiv, auch wenn sie die Scheinheiligkeit hinter dem echten Motiv erkennen konnten. Tatsächlich steckte hinter dieser Parole auf der einen Seite das Werben von Arbeitskräften, da es einen großen Mangel an diesen gab. Auf der anderen Seite wollte das iranische Regime Kämpfer*Innen für den „Heiligen Krieg“ gegen den Irak im Jahr 1981 werben und seinen ideologische Einfluß auf schiitische Gläubige stärken. Viele von den gläubigen Afghaner*Innen, die auf Seiten des Iran kämpften, wurden zu Kanonenfutter dieses Krieges und verloren dabei ihr Leben. Bald wurde vielen deutlich, das das Islamische Regime keine Grenzen für Mord, Folter und Erniedrigung hatte für jene, die nicht in ihr verbrecherisches Bild passte. Die Mehrheit von ihnen blieb trotz des rassistischen, menschenunwürdigen und repressiven Klimas im Iran.

Etwa 3 Milionen Afghaner*Innen leben derzeit im Iran. Nur ca 900.000 wurde eine gültige Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Die anderen sind weder in Besitz eines Aufenthaltstitels noch einer Arbeitserlaubnis, es leben also über 2 Milionen Menschen ohne Papiere im Iran. Aber auch für diejenigen Afghaner*Innen die einen legalen Status besitzen, ist das Leben schwer.

Die Situation und das Leben von Afghaner*Innen im Iran ist aufgrund der menschenverachtenden, rassistischen, kapitalistischen und islamischen Gesetzgebung von Diskriminierung, Erniedrigung und Ausgrenzung geprägt. Diese Ausgrenzungsmechanismen beeinhalten u.a. staatliches Schul-, Arbeits- sowie Zutrittsverbot zu öffentlichen Räumen wie Schwimmbädern und Parkanlagen. Etwa eine halbe Milion afghanische Schulkinder haben von den iranischen Behörden keine Genehmigung für den Unterrichtsbesuch erhalten. Ferner existiert ein Reiseverbot für die Afghaner*Innen in mehr als 14 Provinzen.

95% der Afghaner*Inen arbeiten im Baugewerbe, in der Landwirtschaft, auf Geflügelfarmen, im Brunnenbau, in Straßenbau und in Fabriken. Trotz einer täglichen Arbeitszeit von 12-15 Stunden erhalten sie nur etwa die Hälfe des Mindestlohnes im Iran. Ein Teil dieses Geldes geht dafür drauf, ihre Kinder zu Privatschulen zu schicken, weil afghanische Kinder keinen Zugang zu staatlichen Schulen haben.

Über 15% der afghanischen Geflüchtete befinden sich unter miserablen Lebensbedingungen in von Stacheldraht umzäunten Flüchtlingslagern. Viele afghanische Geflüchtete erinnern diese Lager an iranische Gefängnisse. Nach Berichten von Betroffenen gab es im Jahr 1996 einen Ausbruch mit mehre hunderten Flüchtlingen aus einem der zwei gefängnisähnlichen Lager, die unter den Namen „Weißer Stein“ und „Schwarzer Hügel“ bekannt sind. Dabei wurden die Geflüchtete von einem Militärhubschrauber beschossen, wobei viele von ihnen umkamen. In der Öffentlichkeit wurde darüber nicht berichtet.

Jährlich versucht das iranische Regime 120.000 Afghaner*Innen zur »freiwilligen Rückreise« zu zwingen. Wenn es nicht gelingt, dann werden sie mit brutaler Abschiebung und dem Tod bedroht. Innerhalb der letzten 5 bis 7 Jahre sind mehr als 300.000 von ihnen nach Afghanistan abgeschoben worden. Die Abgeschobenen berichten immer wieder von der rücksichtslosen Vorgehensweise der iranischen Sonderpolizei. Polizisten und Militär verhaften die Illegalisierten wo sie sie finden: beim Einkaufen, bei der Arbeit, zu Hause. Sie nehmen alle mit, die sie antreffen. Auch der Widerstand gegen die Lebensverhältnisse im Iran werden gnadenlos verfolgt: Nach Protesten für bessere Arbeitsbedingungen im Jahr 1988, bei denen iranische und afghanische Arbeiter*Innen gemeinsam kämpften, verschwanden viele Afghaner*Innen spurlos.

Die rassistische Mobilmachung der iranischen Behörden hat sich auf das ganze Land ausgeweitet. Sogar die Afghaner*Innen die „legal“ dort leben besitzen keinen Schutz mehr. In der Öffentlichkeit wird durch die Medien dazu aufgerufen, dass die enge Zusammenarbeit der Bevölkerung mit Polizei notwendig wäre, um illegalisierte Arbeiter*Innen aus dem Iran zu vertreiben. Dadurch sollen die Arbeitsplätze der Iraner*Innen abgesichert und die vermeintliche Drogenkriminalität bekämpft werden. Der herrschende institutionelle Rassismus reproduziert sich in der Gesellschaft. Heute gehören Vorurteile und alltägliche Beschimpfungen durch Teile der iranischen Bevölkerung gegenüber Afghaner*Innen zur Normalität.

Die Herrschenden, ob sie sich hinter der religiösen Maske der islamische Republik oder hinter der westlichen national-chauvinistischen Flagge verstecken, sowie die Medien bedienen sich überall der gleichen rassistischen Technik, mit der sie die Migrant*Innen für die verschärfte Konkurrenz und den Arbeitsplatzverlust verantwortlich machen. Je mehr die Wirtschafts- und politische Krise innerhalb des Irans zunimmt, desto stärker wird die rassistische und nationalistische Politik der Machthaber und desto stärker werden die Ressentiments der Bevölkerung geschürt.

Mehr als 34 Jahre brutalen Krieges, Ausbeutung, Herrschaft durch Warlods und imperiale Mächte aus dem Norden (damit sind die europäische Staaten sowie die USA gemeint, die üblicherweise als „der Westen“ bezeichnet werden, sich geographisch gesehen aber im Norden befinden) veranlassten zwangsweise etwa acht Milionen Afghaner*Innen in die ganz Welt zu flüchten, die meisten von Ihnen in Nachbarländer wie Iran und Pakistan. Nur wenige schafften es in europäische Staaten zu kommen. In Afghanistan herscht jedoch immer noch Krieg durch die nördlichen Staaten, die Taliban und lokale Warlods. Es regnet Bomben vom Himmel, es explodieren Minen und Granaten auf dem Boden. Viele Menschen aus Afghanistan fliehen in die angrenzenden Regionen. Die Grenzen werden jedoch zunehmend mit hochgerüsteter militärischer Überwachung verschlossen. Die Fluchtabwehr bzw die Abschiebung von Geflüchteten ist das Ziel einer gemeinsamen internationalen Politik, die alle Machthaber von den Staaten in den Metropolen bis hin zu den Ländern der Peripherie in Asia, Afrika und Südamerika eint. Und trotz der aktuellen Situation in Afghanistan beginnt das Bundesland Bayern mit Abschiebungen nach Afghanistan.

Bewegungen und Kämpfe von Geflüchtete und Migrant*Innen verstärken sich überall auf der Welt. Afghanische Migrant*Innen und Geflüchtete brauchen dringend eure Solidarität in ihrem Kampf gegen rassistische Politik der internationalen Migrationsregime. Der gemeinsame Kampf, unabhängig von Herkunft, gegen Repression und eine bessere Welt lässt keinen Platz für rassistische, faschistische, und religiöse Propaganda zu. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Solidarität ist unsere Waffe!

Weg mit dem rassistischen Sondergesetzen !

Bleiberecht und gleicht recht für alle – weltweit !

Grenze auf für alle !

 

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